Nein, das iPhone taugt nicht zum mobilen Admin-Werkzeug

In den letzten Monaten habe ich mich sehr mit Argumenten zum/gegen das iPhone zurückgehalten. Der Grund: Ich wollte auf Firmware 2.0.x warten, bevor ich mir eine Meinung bilde. Mittlerweile ist 2.0.1 draußen und ich habe mein Meinung gefestigt: Nein, das iPhone taugt weder zum Admintool noch als Kommunikationsinstrument für Berufsgruppen, die besonders auf den Schutz ihrer Kommunikation achten müssen. Warum?

  1. Das Display und andere Hardware: Fangen wir mit technischen Belanglosigkeiten an: 480×320 Pixel sind die Hälfte der Bilschirmfläche, die Ihr Win-3.11-Nutzer bereits 1993 hattet (mich trifft es noch schlimmer: ich bin erst 1998 in die Computerei eingestiegen — auf SunOS 4.1 mit 1400×1050). Ein FreeRunner bringt es auf volle VGA-Auflösung, Nokias N-Serie (N770, N800 und N810) schafft mit 800×480 die zweieinhalbfache Pixelzahl. Während das iPhone auf angepasste Seiten angewiesen ist, profitieren die Nokia-Geräte von modifizierten Seiten, setzen diese aber nicht voraus um sich bequem im Netz bewegen zu können. Dazu kommt, dass kein Flash-Support für das iPhone erhältlich ist. Apple argumentiert mit einem zu schwachen ARM-Prozessor. Da verwundert es, dass Nokias N-Serie (die ebenfalls einen ARM-Kern nutzt) Flash beherrscht — wenn auch das eine oder andere YouTube-Video ruckelt.

  2. Das Non-Disclosure-Agreement und andere Widrigkeiten: Wer für das iPhone entwickeln möchte, muss ein NDA unterschreiben. In dieser erklärt man, dass man nichts des gelernten weitersagt. Eine solche Erklärung macht in der Phase vor der Markteinführung eines Produktes Sinn, da sie es Konkurrenten erschwert, an Entwicklungsunterlagen heranzukommen. Ist das Produkt einmal am Markt, sollte man das Embargo aufheben. Apple tat dies nicht. Das Ergebnis ist, dass Entwickler in Forum ihre Erkenntnisse nicht weitergeben dürfen, dass Bücher über die Entwicklung fürs iPhone in der Warteschlange stehen, ja sogar dass allzu ausgiebige Kommentare in OpenSource-Applikation fürs iPhone gestrippt werden müssen. Gegen die ausufernde NDA formiert sich derzeit massiver Widerstand.

    Neben der NDA halten die Verträge rund ums SDK andere Widrigkeiten bereit: So untersagt Apple die Erstellung von Applikationen zur Echtzeitnavigation. Navigationssoftware soll es irgendwann einmal geben, dann aber bitte von Apples Gnaden. Gerade Nischenapplikationen werden so effektiv verhindert und im Bereich Auto-/Fußgängernavigation wird sich kaum eine Konkurrenz entwickeln, sondern ein oder zwei Hersteller, die Apple gut genug bezahlen, dürfen ihre Anwendung aufs iPhone bringen.

  3. Der Flaschenhals Appstore: Wer Anwendungen fürs iPhone anbieten möchte, muss diese über den AppStore verteilen. Apple lässt sich das mit 30% des Umsatzes ordentlich vergüten — wo sonst außer in der Musikindustrie sind die Distributionskosten so hoch? We kostenlose oder freie Anwendungen anbieten möchte, macht sich um Distributionskosten keinen Kopf: 30% von 0€ sind 0€. Doch auch hier stellt sich der AppStore als Flaschenhals heraus, denn der Review-Prozess sorgt für Verzögerungen, bis neue Anwendungen veröffentlicht sind und steht so dem “Release early, release often” der OpenSource-Szene entgegen. Eine alternative Vertriebsmöglichkeit existiert nicht, Unternehmen, die ihre Außendienstler mit einer In-House-Applikation versorgen wollen, schauen in die Röhre.

  4. Apples Hintertür zur Löschung unerwünschter Applikationen: Wie jetzt offiziell wurde, behält sich Apple vor, den Hebel bei unerwünschten Anwendungen umzulegen. An sich ist es ja eine gute Sache, wenn unerwünschten Applikationen automatisch der Zugriff auf Kernfunktionen des Gerätes verwehrt werden soll, schließlich kann so Schaden von Mobilnetzen und Nutzern abgewendet werden. Doch sollte dieser Prozess dokumentiert und transparent sein (beispielsweise mit Rückfrage) um ggf. im Falle einer versehentlichen Deaktivierung die Einstellungen bspw. via USB-Kabel manuell zu ändern. Apples Erklärungen haben jedoch einen sehr arroganten Unterton: “Wir wissen, was gut für Dich ist!”

    Doch Defaults, die für 90% der Nutzer gut sind, machen die restlichen 10% zurecht skeptisch, wenn ihnen keine Wahl gelassen wird. Warum enthaltet Ihr diesen 10%, die massiv an der Verbesserung Eurer Anwendungen mitarbeiten könnten, eigentlich die nötigen Informationen vor?

  5. Tethering: Dass per Software die Möglichkeiten von Hardware mutwillig eingeschränkt werden, kennen wir von billigsten Bluetooth-Handys, wo die Kastration von Obex-Push dafür sorgen muss, dass der Kunde MMS benutzt um Fotos zu versenden. Aber bei einem Gerät mit Vertragsbindung ab 30€ aufwärts? Aufgrund von Abmachungen mit den Netzanbietern kann das iPhone praktisch nichts. Die Applikation NetShare wurde schnell wieder zurückgezogen. Eine Anwendung, die das iPhone zum WLAN-Accesspoint und schließlich zum Proxy für ein Notebook in der Umgebung macht und so letzlich die fehlende Bluetooth-Modem-Funktionalität auf — zugegebenermaßen krudem Weg nachrüstet — ist nicht mehr.

    Auch hier gilt, dass eine mutwillige Einschränkung der eigentlich vorhandenen Funktionen die Multiplikatoren abschreckt. Es spräche nichts dagegen, ein sauberes Set Grundfunktionen für Otto-Normal-User zu aktivieren und den Rest erst einmal zu verstecken: Das sorgt für übersichtliche Nutzerschnittstellen, ohne den Nutzer zu gängeln.

  6. Eine Prise Paranoia: In einigen Foren wurde die berechtigte Frage gestellt, ob denn nicht jemand, der das Vorhandensein der Remote-Deaktivierung von Anwendungen verschweigt auch Hintertüren verheimlicht. Ich weiss es nicht. Die Spekulationen hinsichtlich Skype lassen jedoch vermuten, dass die Hersteller von Massensoftware möglichst wenig bei den Strafverfolgungsbehörden anecken wollen. Proprietäre Smartphones sind natürlich ein lohnendes Ziel, bei relativ offenen Smartphones wo bis auf hardwarenahen Code 99% des Quelltextes frei sind, ist es deutlich schwieriger. Und fast gänzlich unmöglich ist es, wenn man UMTS-Modem und PC-Betriebssystem nach Belieben zusammenstöpselt — bei mir mal Bluetooth-Handy und mal UMTS-Stick.

    In beiden Fällen kann die Kommunikation mit dem Modem mitgeschnitten und auf Anomalien untersucht werden — beim geschlossenen Smartphone muss ich auf den guten Willen des Herstellers vertrauen.

Mein Fazit: Für einen Großteil der Privatnutzer ist das iPhone ein nettes Kommunikationsinstrument und ein tolles Spielzeug. Auch das “Mobile Ich” dürfte für diese Zielgruppe ausreichen. Kritisch sollten all jene sein, die von Berufs wegen auf Diskretion angewiesen sind — Ärzte, Anwälte, Journalisten. Die Abwicklung von Kommunikation über ein Gerät, das vom Mobiltelefon-Stack über die Nutzereingabe bis zum Mailclient eine komplette Blackbox ist, sollte für Skepsis von Berufs wegen sorgen.

Es mag sein, dass ich besonders kritisch bin, schließlich versuche ich auch möglichst viel der von mir benutzten Kommunikationsinfrastruktur selbst vorzuhalten. Doch am meisten stören mich aber künstliche Einschränkungen der eigentlich in Hardware vorhandenen Möglichkeiten und die vertraglichen Aspekte, die viele interessante Anwendungen und eine vitale freie Software-Szene im Keim ersticken. Apple hatte etwa ein Jahr Zeit, all die Kritikpunkte anzugehen um ein positives Klima für Entwickler zu schaffen und Skeptikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Offenbar sahen Jobs’ Manager hierfür keinen Bedarf.

Man könnte nun damit argumentieren, dass per Jailbreak ja jede Anwendung auf das iPhone zu bringen ist. Doch ich zahle nicht mindestens 30€ im Monat, um dann auch noch bei jedem Firmware-Update mit dem Jailbreak herumzubasteln. Meine masochistische Ader kann ich mit Linux-Geräten ausleben. Dort weiss ich auch, dass ein Major-Update nicht absichtlich Kompatibilität bricht und kann gegebenenfalls selbst in Code und Config eingreifen. Wenn Apple beschließt, in Firmware 3.0 nur noch digital signierte Binaries auszuführen und man sich auf Jailbreak verlassen hat, taugt das iPhone nur zum besseren Briefbeschwerer.

Ich selbst scheue die Gerätekonvergenz noch etwas und bin bei Bedarf mit separatem Handy und entweder N800 (welches auch einen tollen Medienplayer abgibt) oder Netbook unterwegs. Oft gönne ich mir sogar den Luxus, nur das Drittwelttelefon mitzunehmen, meine Kunden wissen, dass sie mich im Zweifel darauf erreichen — Push-Email muss daher nicht sein. Selbstverständlich erhebt dieses Szenario keinen Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit, doch gerade Leser dieses Blogs, welche die Anschaffung eines iPhones als Business- oder Admin-Werkzeug überlegen, sollten darüber nachdenken, ob die massiven Einschränkungen den vorgeblichen Mehrwert nicht zunichte machen.

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14 thoughts on “Nein, das iPhone taugt nicht zum mobilen Admin-Werkzeug

  1. nofue

    Lustige Überschrift (wer hätte vermutet, dass 480×320 weniger komfortabel sind, als 1024×768 am Laptop?) und in Punkt 1 dann auch die Ausführung dieser Einsicht. Nun ja.
    Ab dann geht es um “Entwickeln für das iPhone” (hat das was mit Admin Jobs zu tun?) und irgendwelchen Einschränkungen, die Apple dem Produkt auferlegt hat. Und? Was hat das mit dem Admin zu tun?
    Für die interne Unternehmens-Releases gibt es die ->AdHoc Distribution, so wird auch bei der Entwicklung Beta Software auf das iPhone geschoben, um unter Echtbedingungen zu testen.

    Und “offen”: welches Handy ist denn bitte “offen”? Das sind alles höchst proprietäre Systeme. Fact ist, dass das iPhone inzwischen wahrscheinlich 2 Millionen Mal über die Theke gegangen ist und sich die ersten Entwickler Millionen über den AppStore verdient haben. Dies “Normative Kraft des Faktischen” relativiert das Entsetzen der von mir aus hundert Blogger auf diesem Planeten, die irgendwas gegen das iPhone vorzubringen haben und sich meist gegenseitig zitieren.

    Was nicht heißt, dass sinnvolle Kritik immer hilfreich ist — aber wenn diese Kritik nur ein täglich neu aufgewärmter Brei bereits gekauter Argumente ist, so wird’s fad.

    Ah, und ja, ich habe ein iPhone und nutze es nicht als mobiles Admin Tool — dafür habe ich ein iBook G3 aus dem Jahre Schnee, das mit € 200 deutlich billiger war, als das iPhone. Dafür hat es einen größeren Bildschirm, wechselbare Batterien, 120 GB Festplatte (nachgerüstet) und 640 MB RAM, da kann man schon mehrere Shells aufmachen und parallel ein paar Browser laufen lassen. Und ich hatte nicht vor, dieses alte Ding durch das iPhone zu ersetzen – soviel Realismus gestehe ich mir selbst zu, nachdem ich meine ersten Assembler-Programme (Z80, anybody?) schon 1983 in Hex-Code in die Kiste gehackt habe…

  2. Mattias Schlenker

    Entwickeln für iPhones hat daher mit Admin-Jobs zu tun, da häufig kleine interne Anwendungen für die Inventarisierung, die Netzwerktopologie oder Kondenverwaltung im Umlauf sind, die oft natürlich mit einem nativen Client für das jeweilige Gerätchen angebunden werden sollen.

    Die AdHoc-Distribution ist sicher ein nettes Mittel um in einem kleinen, übersichtlichen Unternehmen Software auf zwei oder drei iPhones zu bringen. Im reinen Kontext “Admin-Tool” sicher ausreichend. In größeren Unternehmen, wo u.U. nach Release eines Tools neue Außendienstler mit iPhones dazu kommen oder ein verlorenes iPhone ersetzt wird, ist diese Methode kaum praktikabel.

    Zur Offenheit von Mobiltelefonen: Relativ offen ist beispielsweise Series60, für die auch Python zum Scripting existiert. Auch Qtopia basierte Smartphones sind meist offener als das iPhone (aber nur in Japan und Korea verberitet). Das einzig wirklich offene Telefon ist das FreeRunner, das jedoch extrem unfertig ist und daher zwar vom Nerd zum Admintool gemacht werden kann, aber sonst nicht zum täglichen Einsatz taugt. Ironischerweise ist es ausgerechnet der Erfolg des iPhones, der Motorola nun dazu bewegt hat, Entwicklungswerkzeuge für die aktuelle Linux basierte Reihe abzugeben.

    Dass Du ein iBook (Klodeckel-iBook?) als Adminwerkzeug verwendest, bestätigt ja meine Ausführung indirekt. Nur gibt es viele Admins, die für unterwegs kleinere Geräte mit guter Akkulaufzeit mitnehmen wollen — und viele liebäugelten da eben mit dem iPhone, dass prinzipiell ein großen Potential in einem kleinen Smartphone integriert.

  3. Wahrscheinlich "Apple-Fanboy"

    hust *jailbreak* hust 🙂

    Bin zwar kein Admin und habe wenig Ahnung von dem Kram, aber seit Oktober ’07 (1.0.2) ist mein iPhone “offen”.

    Dass diese Möglichkeit keinerlei Erwähnung findet, lässt den Beitrag in meinen Augen unrund erscheinen.

  4. jukey

    Ich teile die Meinung des Autors und finde das die Nokia Tablets in nahezu allen Belangen dem iPhone meilenweit voraus sind. In Punkto Usability muss mann hier und dort bestimmt Abstriche machen. Es wird aber auch seit Jahren besser. 🙂

    Das meistgehörte Argument im Zusammenhang mit dem N810: “Ich brauche ja nen Handy um damit mobiles Internet nutzen zu können.” ist für mich auch ein Vorteil. Ich habe seit ich das N800 nutze zwischenzeitlich das Handy gewechselt und war nach GPRS mit dem alten erfreut über die Geschwindigkeitssteigerung (HSDPA) mit dem neuen Handy. Abgesehen davon hat man ja eh ein Handy, dass man gleich als Modem Nutzen kann, wenn man sich jetzt ein N810 kauft.

  5. Administrator Post author

    @Wahrscheinlich “Apple-Fanboy”: Jailbreak wird im vorletzten Absatz erwähnt.

    @jukey: Exakt, Apple-Nutzer, die ein iPhone haben und mobil mal nicht per WLAN ins Netz können, sollten halt den USB-UMTS-Stick dabei haben. Der Tablet-Nutzer nimmt entweder das Tablet und das Handy mit oder das Notebook und das Handy. Übrigens schade, dass der iPod touch nicht über Bluetooth verfügt — dann könnte man mit diesem in Kombination mit einem BT-Handy eben auch ins Netz.

    Nettes Blog übrigens!

  6. Pingback: Das Rootserver-Experiment » Blog Archive » Randnotizen, 21. September 2008: EeePC 901, iPhone 3G, Linux-Kernel

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